Krieg und Infiltration

Methoden der Verfolgung von Staatsfeinden durch repressive Systeme

kiUTalk!#3 Unsichtbare Verfolgung mit Hannah Daria Nussmann und Christian Heck. Moderation: Tobias Bieseke.

Fr 11.10.2024, 18.00 – 20.00 UhrIm Foyer des Dortmunder U – Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Intention:Immersion

mehr Info unter: https://dortmunder-u.de/event/kiutalk3-unsichtbare-verfolgung/

Diskussion – Unsichtbare Verfolgung

Unterschiedliche politische Systeme nutzen verschiedene Methoden, um sich vor potentiellen Gegnern (vermeintlich) zu schützen. Dabei werden Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse instrumentalisiert und so moderne Formen der Verfolgung entwickelt. Bei der Stasi war dies unter anderem  die leise Methode der Zersetzung. In Israel wir heutzutage das KI System „Lavender“ eingesetzt, um auf Basis von Datenaktivität Kriegsziele ausfindig zu machen und die ermittelten Systemfeinde zu attackieren. Wir sprechen über diese Methoden, deren Umsetzung in der Praxis und mit welchen Narrativen diese gerechtfertigt werden. Dabei stellen wir kritische Frage, ab wo Prävention zu Agitation wird? Wo beginnt Sicherheit zu Freiheitsentzug zu werden? Wie Fehleranfällig sind diese Methoden? Welche Konsequenzen hat der Einsatz für Zivilisten? Was verrät uns der Einsatz solcher Methoden über die ausübenden Systeme? Diese Fragen wollen wir zusammen mit unseren Gästen diskutieren und kritisch hinterfragen. Wir werden auch untersuchen, wie sich die Technologisierung und Digitalisierung auf diese Praktiken auswirken und welche ethischen und moralischen Dilemmata dabei entstehen. Es ist wichtig zu verstehen, wie solche Methoden sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch die individuellen Rechte und Freiheiten beeinflussen. Nicht zuletzt wollen wir auch beleuchten, welche Mechanismen und Kontrollen notwendig sind, um den Missbrauch solcher Technologien zu verhindern, und welche Verantwortung Regierungen und Unternehmen tragen. Unsere Diskussion zielt darauf ab, ein tieferes Verständnis für die Komplexität und die Auswirkungen dieser Sicherheitsstrategien zu entwickeln und eine Plattform für den Austausch vielfältiger Meinungen zu bieten.

Der kiUTalk! im Rahmen von Intention:Immersion ist eine Plattform des storyLab kiU für Wissenschaftler, Künstler, Designer und Menschen mit einer besonderen Botschaft, die es ihren Gästen ermöglichen will einem öffentlichem Publikum ihre Erkenntnisse zu zeigen. Dabei passt sich das Format an die jeweilige Situation an, mal als Diskussion, mal als individueller Talk, mal als Performance und mal als themengebundene Vortragsreihe. Dabei ist die Reihe offen für jegliche Form von Thema, wobei sich das storyLab kiU die Kuration vorbehält.

Vortrag #1 – „Zersetzungsstrategien der Stasi“ – Angriffe auf die Seele

In dem autoritär geführten Staat der DDR versuchte die SED ihre ideologische und politische Vorstellung durch verschiedene Formen der Repression gegen als feindlich wahrgenommene Personen zu verteidigen, indem sie diese unterdrückte. Neben politischer Inhaftierung und der Einweisung in Jugendwerkhöfe griff das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch auf leise Formen der Repression zurück. Um im Geheimen möglichst starken psychischen Stress in den Betroffenen hervorzurufen, wurde die Methode der Zersetzung entwickelt.

Die Stasi sammelte und nutze dazu Informationen über die Betroffenen, um möglichst intensive und psychisch destabilisierende Methoden anzuwenden. Betroffene waren darüber im Unwissen. Sie und ihre Familien erlebten plötzliche berufliche und schulische Nachteile, es wurden Gerüchte über sie gestreut und Partnerschaften sowie Eltern-Kind-Beziehungen zerstört. Diese Eingriffe in das Leben der Betroffenen hatten kurz- und langfristige Folgen: Neben zerstörten Beziehungen und einer schlechteren finanziellen Ausgangslage indizieren verschiedene Studien ein erhöhtes Vorkommen verschiedener psychischer Erkrankungen bei den Betroffenen.

Die Methode der Zersetzung ähnelt in ihrer Umsetzung und Wirkung modernen Formen der Repression. Insbesondere das Konzept der Internet- und Kommunikationsgestützten Folter baut ebenfalls auf einem Verfolgungsmodell auf, dass im geheimen passiert und auf die Inhaftierung der Betroffenen Person verzichtet. Stattdessen werden über das Internet legal und illegal beschaffte Informationen genutzt, um Personen auch in der Realität und psychische Gefahrenzustände zu bringen.


Vortrag #2 – Der Mythos des „Targeted Killing“

Datengetriebene Targeting-Prozesse zum Aufspüren des „unknown known“ (D. Rumsfeld), entwickelten sich im Laufe dieses Jahrhunderts gleichermaßen aus Sicherheits-, Militär- und Big Data Logiken heraus. KI-basierte Technologien sind seither in Kriegen und zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen nicht mehr wegzudenken.

Im Laufe dieses Jahrhunderts implementierten westliche Militärs experimentell KI-gestützte Entscheidungsprozesse in ihre Strategien der netzwerkzentrierten Kriegsführung, woraus sich in den letzten Jahren eine multidomäne, datenzentrierte Kriegsführungspraxis entwickelte.

Multi Domain Task Forces und Geheimdienste überwachen unsere technologisierten Lebensräume um „Gefährder“ zu errechnen und potentielle Gegner und Terroristen algorithmisch zu erfassen. Aktuellstes Beispiel ist der Einsatz des KI-basierten Befehls-, Kontroll- und Entscheidungsunterstützungssystems „Lavender“ in Gaza. Es wurde nach dem 7. Oktober vom israelischen Militär eingesetzt um Militärs der Hamas und des islamischen Dschihad zu identifizieren, Todeslisten zu erstellen und ihre Wohnhäuser mit Drohnen zu bombadieren.

Die Historiztät dieser Operationspraxis steht dem globalen Krieg gegen den Terror als Praktik des „Targeted killing“ eingeschrieben. Eine sicherheitspolitische Farce des „gezielten Tötens“, die in diesem Jahrhundert abertausenden Zivilisten das Leben nahm.

Der kurze Vortrag geht auf diese ganz spezielle Art von technisch erzeugter Dehumanisierung ein, durch die ein Schutz der Zivilbevölkerung nicht mehr gewährleistet werden kann.